Ausgebremst im Intensivprogramm

Akribischer Arbeiter, Motivator und ein Mann voller Reiselust: HTV-Trainer Pedro Alvarez

Hemer Wenn man ihn in seinem Element erlebt, beim Training mit der Mannschaft, emotionsgeladen an und auf der Trainerbank während des Spiels, dann bekommt man ein Gefühl dafür, wie sehr ihm dieser Corona-Lockdown zu schaffen macht. Pedro Alvarez lebt für den Handball, und die Pandemie bremst seinen Tatendrang ziemlich unnachgiebig aus. Denn er braucht den direkten Kontakt zu seinen Spielern, die direkt Ansprache, die Rückmeldung, dass seine Lehre wirklich ankommt.

Jetzt sieht er die Oberliga-Akteure des HTV Hemer dreimal wöchentlich auf seinem Laptop-Bildschirm, wenn sie die von ihm vorgegebenen Fitnessübungen absolvieren. Auch dabei überlässt der Portugiese nichts dem Zufall. Er spielt Videos ein, in denen die Übungen präsentiert werden, und das Schneiden dieser Streifen ist ziemlich zeitaufwendig. „Normalerweise reicht mir eine Stunde, um eine Trainingseinheit vorzubereiten, aber bei den Videos komme ich damit nicht hin.“
Aber er macht es gern und streut auch gelegentliche Spezialeinheiten wie ein virtuelles Boxtraining ein. „Arbeit ist nämlich mein Freund“, sagt Pedro Alvarez. Und dementsprechend wollte er sich auch ganz auf die Arbeit konzen­trieren, als er im Juli nach Hemer kam, um das erste Kapitel seines schon lange geplanten Deutschland-Engagements aufzuschlagen. In einem Land, in dem Handball einen hohen Stellenwert und eine hohe Qualität besitzt, wollte er seine ganz persönliche Philosophie auf den Prüfstand stellen.

Deshalb war es kein Problem, dass seine Frau Karen, eine Brasilianerin mit deutschen Wurzeln, nicht ins Sauerland übersiedelte. Sie arbeitet derzeit im brasilianischen Porto Alegre als Lehrerin, und die Kontakte beschränken sich seit einem halben Jahr auf die täglichen Skype-Treffen. „Ich muss hier erst Fuß fassen“, stellt der 48-Jährige klar. Und dazu gehört auch seine Beschäftigung als Sportlehrer an der Hemeraner Gesamtschule. In seinem erlernten Beruf zu arbeiten und gleichzeitig sein Handball-Wissen zu vermitteln, war schließlich sein Ziel, als er seine Zelte in Österreich abbrach, um nach Deutschland zu gehen.

Aber die Schule fordert ihn nicht ganztägig, der Handball läuft auf absoluter Sparflamme, so dass ein Energiebündel wie er mehr Freiraum erhält, als ihm lieb ist. Diesen sinnvoll zu nutzen, bereitet ihm aber keine Probleme. „Ich interessiere mich für Musik und bin ein absoluter Schallplattenfan.“ Und was wird im Hause Alvarez aufgelegt? Er hört Klassik, bevorzugt Brahms und Bach, er kann sich aber auch für Reggae und Soul begeistern. Dazu liest er viel – über Musik, aber auch über geschichtliche Themen. „Mein Großvater hatte zu Hause einen Bildband mit historischen Fotos deutscher Städte. Die werde ich ganz bestimmt noch bereisen und schauen, ob ich irgendetwas wiedererkenne“, sagt der Trainer.

Die Hoffnung auf Weihnachten in der portugiesischen Heimat

Die Familie vermisst er in diesem Jahr ganz besonders, weil der letzte Besuch schon ein Jahr zurückliegt. In der Nähe von Lissabon leben seine Eltern, seine beiden jüngeren Brüder – und auch sein Hund. „Der ist sieben Jahre alt und einfach zu groß, um hier bei mir in der Wohnung zu sein“, sagt Alvarez. Zu Weihnachten, so Corona es zulässt, will er endlich wieder in die Heimat reisen. Auch seine Frau will dann aus Brasilien kommen, aber sicher ist in diesen Zeiten eben nur wenig. Wenn er von seiner Familie spricht, dann kommt er auch schnell auf Handball.

Seine Brüder Nuno und Joan sind in einem Verein engagiert, als Trainer und als Öffentlichkeitsarbeiter, und wenn die drei konferieren, kann man sich das Thema ausmalen. Pedro Alvarez: „Ich habe Nuno oft gesagt, wie er sich als Trainer verhalten muss, aber das fand er lange Zeit gar nicht gut. Ich bin nämlich ziemlich kritisch.“ Aber mittlerweile haben die Alvarez-Brüder einen sehr guten Konsens gefunden.

Als der HTV-Coach gerade über den Bildschirm seines mit Dateien rund um den Handball gut gefüllten Notebooks wischt, stößt er auf ein Bild aus der Heimat. Ein Küstenstreifen, nur ein paar Kilometer von seinem Haus entfernt. „Wenn ich mich da eine halbe Stunde hinsetzte und aufs Meer schaue, fühle ich mich wie neu geboren.“ Aber es ist beileibe nicht das einzige hinreißende Landschaftsbild, das er in seinem digitalen Archiv gespeichert hat.

Der Portugiese hat in seinem Leben nicht nur in Österreich und Deutschland Station gemacht. „Ich war schon in über 50 Ländern. Ich liebe es, andere Menschen zu beschenken, aber das Reisen ist mein Geschenk an mich.“ Die Bahamas hat er in seiner persönlichen Beliebtheitsskala an die Spitze gesetzt, aber es gibt harte Konkurrenz. Uruguay fällt ihm spontan ein. Und es gibt natürlich neue Ziele, die er nach Corona ansteuern will. Japan, Australien und Südafrika reizen ihn besonders.

Aber bis zum nächsten großen Trip dürfte noch Zeit genug sein, um beim HTV nachhaltige Spuren zu hinterlassen. Gerade in den Zeiten ohne geregelten Trainingsbetrieb empfiehlt er, sich der Fortbildung zu widmen und Pläne für die Zukunft zu entwerfen. Schließlich soll es mit dem Handball in Hemer vorangehen, wenn es nach ihm geht, kann ein echter Leuchtturm entstehen. „Ich weiß, dass ich oft zuviel will. Aber andere haben manchmal auch zu geringe Ambitionen.“ Die Rolle als Antreiber und Motivator übernimmt Pedro Alvarez nur zu gern. Irgendwann auch wieder live im Grohe-Forum, im direkten Kontakt mit der Mannschaft.

Text und Foto: IKZ, Willy Schweer

Am Spielfeldrand dirigiert Pedro Alvarez stets voller Emotionen
Mehr Freiraum als nötig hat Pedro Alvarez derzeit. Aber er weiß ihn zu nutzen 
 Willy Schweer